„Vielleicht habe ich ein Stück mehr Ehrgeiz durch dieses Schicksal“

Auf Sprungfedern in ein neues Leben: Für Peter Schirmer geht es immer vorwärts


Die Abendsonne wirft schon lange Schatten auf den Sportpark im baden-württembergischen Dielheim als Peter Schirmer seine Alltagsknie gegen zwei Lauffedern tauscht: Das Training mit der Amputierten-Laufgruppe von Anpfiff ins Leben steht an. „Früher habe ich gar keinen Sport gemacht“, erzählt der 40-Jährige. Heute ist Sport sein halbes Leben. Dabei dürfte er eigentlich gar nicht hier stehen. Denn nach einem Herzstillstand vor zwei Jahren hatten die Ärzte wenig Hoffnung.

„Er wird nie wieder ein eigenständiges Leben führen, haben sie meinen Eltern gesagt“ sagt Peter. Aufgeben war für ihn aber noch nie eine Option. Und so ist es auch als im September 2018 plötzlich sein Herz stehen bleibt. Nicht bei Stress auf der Baustelle, wie man bei einem selbständigen Handwerkermeister vermuten könnte, sondern zuhause im Bad. Er hat Glück, dass seine Eltern ihn finden. Sein Vater fängt sofort an ihn wiederzubeleben. Die Sanitäter übernehmen – 90 Minuten lang wird Peter reanimiert. Doch das Gehirn bekommt zu wenig Sauerstoff, ein hypoxischer Hirnschaden ist die Folge.

Nach dem Koma sind die Beine noch da

Warum passiert das einem jungen Mann, der gesund und jugendlich fit wirkt? Eine angeborene Herzschwäche, erklärt Peter. Zwölf Tage liegt er im Koma, immer wieder setzt auch das Herz aus. Die Organe versagen, noch auf der Intensivstation muss er an die Dialyse. Als er aus dem Koma aufwacht, sind seine Beine noch da. Aber ab den Knien abwärts kann er sie nicht mehr bewegen. 40 Mal wird er in den kommenden Wochen wegen offener Stellen am Rücken operiert. Nach sechs Wochen kann er die Intensivstation dann verlassen. Kurz danach sagt ihm der Arzt, dass das linke Bein amputiert werden muss. Weil das Blut nicht mehr zirkuliert, droht sonst eine Sepsis. „Es gab also gar keinen Plan B. Denn Plan B wäre zu sterben“, erinnert er sich. Am 28.11.2018 wird das linke Bein amputiert. Sieben Wochen später ist auch das rechte Bein nicht mehr zu retten.

Fünf Monate Reha machen ihn fit

„Wo wir sind, ist vorne und oben“ sagt Peter zu seinem Geschäftspartner. Eltern, Freunde, Verwandte und Kunden unterstützen ihn. Aber vor allem ist es sein eiserner Wille, der ihn antreibt. Ende März 2019 steht er zum ersten Mal in Prothesen. „Ich wollte gleich loslaufen“, erzählt er lachend. Danach geht es in die Gehschule, die zur Unfallklinik in Ludwigshafen gehört. Seinen beiden Therapeutinnen ist er zutiefst dankbar, „die haben mich wieder auf die Füße gestellt“.

Fünf Monate bleibt Peter in der Reha. In dieser Zeit wird Ludwigshafen zu seiner zweiten Heimat. Er lernt nicht nur das Laufen mit Prothesen, sondern auch, wie man den neuen Alltag bewältigt. Das, findet er, sei ein super Programm. Man werde wieder fit fürs Leben gemacht. Außerdem helfe der Austausch mit anderen Patienten. „Man spricht mit Leuten, die schon länger amputiert sind. Das gibt einem Ruhe.“ Vor allem nimmt er von ihnen mit, dass es nicht immer so klappt, wie man sich das vorstellt. Aber dass es dennoch immer weitergeht.

Und manchmal muss man den Weg erst gezeigt bekommen. So ist es auch, als Peter bei einem Stammtisch Diana Schütz trifft. Sie lädt ihn ein, mal zu einem Lauffeder-Wochenende von Anpfiff Hoffenheim zu kommen.

Hinter der Schranke geht es weiter

Ein Jahr nachdem er dem Tod so gerade von der Schippe gesprungen ist, steht Peter das erste Mal auf Sprungfedern. Ein Aha-Moment. „Denn da ist ein Weg mit einer Schranke. Du weißt, es geht dahinter weiter. Aber Du weißt nicht, wie man dahin kommt“. In dem Moment ist ihm klar – mit den Sprungfedern wird er die Schranke überwinden. Seitdem trainiert er jeden Donnerstag mit der Ampu-Laufgruppe von Anpfiff Hoffenheim.

Am Anfang habe er nicht einmal eine Runde geschafft, erzählt Peter. Aber damit war das erste Ziel klar: Bis Fasching soll eine Runde klappen. Die schafft er dann schon Anfang des Jahres 2019. „Vielleicht habe ich ein Stück mehr Ehrgeiz durch dieses Schicksal“, meint Peter. Deswegen hat er auch schon ein neues Ziel vor Augen: Irgendwann bei den Paralympics starten.

 

Erstellt von Barbara Reeder